Gedankenflüge2021-05-14T18:01:39+02:00

Gedankenflüge

Wer bin ich? Ko´ham?

Am Anfang war der ātman allein in menschlicher Gestalt. Als er um sich blickte, sah er nichts anderes als sich selbst. Da sprach er am Anfang: „Ich bin!“ Daher kommt der Name „Ich“. Deshalb sagt man auch heute noch, wenn man angesprochen wird, zuerst: „Ich bin es“, und danach erst nennt man seinen Namen, wie immer er lautet. … (1)

Er fürchtete sich. Deshalb fürchtet man sich, wenn man allein ist. Dann dachte er sich: Da es nichts außer mir gibt, wovor sollte ich mich fürchten? Darauf wich seine Furcht, denn vor wem hätte er sich fürchten sollen? Denn Furcht kommt von einem anderen. (2) 

Brihadāranyaka I, 4,1-2

Vielleicht stellt sich jeder einmal die Frage „Wer bin ich?“ oder „Wer oder was ist eigentlich ICH?“ Wer sich mit sich selbst konfrontiert sieht, wird vielleicht feststellen, dass sich gelegentlich unangenehme Gefühle oder gar Angst bemerkbar machen. Wer aber beschließt, sich bewusst mit sich selbst zu beschäftigen, hinschaut was in ihm und um ihn herum gerade passiert und erkennt was das ICH gerade braucht, dem bietet diese Konfrontation mit sich selbst die Möglichkeit zur Transformation.

Meine erste bewusste Begegnung mit meinem ICH hatte ich nach einem Treffen unserer damaligen Selbsterfahrungsgruppe. Aus irgendeinem Zusammenhang heraus kam auch hier die Frage nach dem ICH und der Angst auf. Die damalige Leiterin hat uns empfohlen, einmal einen Selbstversuch zu machen. Jede/r konnte sich, wenn sie/er wollte, zuhause in einer ruhigen Minute vor einen Spiegel setzen und sich selbst tief in die Augen blicken, um zu sehen, wie lange sie/er Ihrem/seinem eigenen Blick (in die Seele) standhält. Seinem wahren Selbst zu begegnen braucht Mut. So simpel diese Übung auch erscheint, es hat mich einiges an Überwindung gekostet, nicht wegzusehen. Sicherlich gewährt einem der Blick in den Spiegel auch nicht die letztendliche und vollständige Erkenntnis über sein wahres ICH, aber es ist eine interessante Erfahrung und einen Versuch wert.

Aber warum hat man nun so viel Angst vor dem wahren Selbst (ātman), wenn es doch nur das ICH BIN gibt? Wie ātman in menschlicher Gestalt sagt, gibt es doch keinen Grund, wenn man all-ein(s) ist. Warum ist es dann so schwierig, bei sich zu bleiben und sich nicht von außen beeinflussen zu lassen. Vielleicht waren wir in unserem Ursprung alle All-EINS und ganz bei uns selbst. Vielleicht hat sich dieser Zustand im Laufe der Evolution über die Zeitalter hinweg verändert oder aufgelöst. Aber irgendwo muss dieser Funke noch vorhanden sein, denn durch Yoga und Meditation ist dieser Zustand der wahren Erkenntnis und des wahren Seins (zumindest für eine gewisse Zeit) zu erreichen. Folglich kann er sich nicht ganz aufgelöst haben. Vielleicht ist das Getrennt-Sein vom ICH auch nur eine Illusion und es fehlt uns wirklich „einfach“ der Mut unser wahres ICH zu erkennen. Aber vielleicht ist auch das nur eine Illusion.

Siegmund Freud beschreibt in seinem „Drei-Instanzen-Modell“ die Begriffe „Es“, „Ich“ und „Über-Ich“. Während das „Es“ nach der Befriedigung seiner Triebe (Nahrungs- und Sexualtrieb,…), Bedürfnisse (Geltungsbedürfnis,…) undAffekte (Liebe, Vertrauen, Hass, Neid,…) strebt und im „Über-Ich“ die psychische Struktur bezeichnet wird, in der soziale Normen, Werte, Moral, Gewissen, usw. angesiedelt sind, ist das „Ich“ jene Instanz, die dem bewussten Alltagsdenken (Selbstbewusstsein) entspricht und zwischen den Ansprüchen des „Es“ und dem „Über-Ich“ vermittelt, um psychische und soziale Konflikte aufzulösen. Ist das ICH also wirklich nur ein Vermittler zwischen angeborenen Trieben und anerzogenen Moralvorstellungen?

Ich weiß nicht, wie oft ich in diesem Text das Wort ICH verwendet habe, aber man gebraucht es im Alltag so oft, ohne sich bewusst zu machen, was es bedeutet und was ICH eigentlich ausmacht. Ich werde die Frage nach dem ICH und der Angst auch nicht beantworten können. Wenn wir jedoch ganz bei uns sind, sind wir der Beobachter der Geschehnisse. Wir können von „außen“ betrachten was in uns und um uns herum geschieht, ohne etwas fürchten zu müssen. Aber nichts ist schwieriger als diese Position einzunehmen und zu halten.

In dem Prosagedicht „Die Einladung“ (siehe Buchempfehlungen) schreibt Oriah Mountain Dreamer: „ (…) Es interessiert mich nicht, wo oder was oder mit wem du studiert hast. Ich will wissen, was dich von innen heraus trägt, wenn alles andere wegbricht. Ich will wissen, ob du mit dir selbst allein sein kannst und ob du den, der dir in solch einsamen Momenten deines Lebens Gesellschaft leistet, wirklich magst.“ (2)
Diese Instanz, die uns von innen heraus trägt, die uns mit uns selbst allein sein lässt, ohne uns vor uns selbst zu fürchten, der Zustand des All-Eins-Seins, in dem sich alles materielle auflöst und keine Dualität mehr existiert, das ist Ātman, das wahre Selbst.

Ko´ham? Wer bin ich?
So´ham! Ich bin (wer ich bin)! Er (ātman) ist ich!

Vielleicht möchtest Du die Gelegenheit nutzen um in den Spiegel zu schauen und Dir selbst begegnen, Deinem wahren Selbst, dem höchsten Bewusstsein, dem ICH BIN. 

In meiner „Mediathek“ findet Du zum Thema vier Videos des ehemaligen DAX-Managers Bernd Kolb, der sich heute mit Weisheitsfragen beschäftigt. Nachdem sein Buch „Atman“ sehr erfolgreich war, gab es 2016 die Atman-Ausstellung. Hier blickt der Betrachter nicht in sein eigenes Spiegelbild um sich selbst zu erkennen, sondern in die Gesichter anderer Menschen auf einer durchleuchteten Leinwand. In diesem Jahr folgte dann die Brahman-Austellung. In den vedischen Schriften bezieht sich Atman auf das individuelle Bewusstsein und Brahman auf das universelle Bewusstsein oder Weltenseele.

Unter folgendem Link findest Du Bernd Kolb´s Bericht über seine „Wisdom Journey“.
http://www.berndkolb.com/wisdom/

In den Buchempfehlungen findest Du zum Thema das Buch „Weiter als Himmel, größer als Raum“ von Mooji, das  sich mit dem Advaita Vedanta (Nicht-Dualität) beschäftigt.

Lass Dich inspirieren und sei gut zu Dir!

1) Bettina Bäumer, Upanishaden, Kösel Verlag, 2. Auflage 2009, Seite 150
2) Oriah Mountain Dreamer, Die Einladung, Goldmann Verlag, 8. Auflage 2000, Seite 8

Bildquelle: Fotolia

Achtsamkeit

Zen-Schüler fragen ihren Meister warum er so zufrieden ist.

Er antwortet:
„Wenn ich sitze, dann sitze ich,
wenn ich stehe, dann stehe ich,
wenn ich gehe, dann gehe ich,
wenn ich esse, dann esse ich,
wenn ich liebe, dann liebe ich, …“

Die Schüler sagen:
„Das tun wir auch, aber was machst du darüber hinaus?“

Der Meister erwiderte:
„Wenn ich sitze, dann sitze ich,
wenn ich stehe, dann stehe ich,
wenn ich gehe, dann gehe ich,
wenn ich esse, dann esse ich,
wenn ich liebe, dann liebe ich, …“

Wieder sagten die Schüler:
„Aber das tun wir auch, Meister.“

Aber der Meister entgegnete:
„Nein, wenn Ihr sitzt, dann steht ihr schon,
wenn ihr steht, dann geht ihr schon und
wenn ihr geht, dann seid ihr schon am Ziel.“

Achtsamkeit ist eine besondere Form der Aufmerksamkeit, eine Qualität des menschlichen Bewusstseins, sprich des bewussten Seins, die auf den gegenwärtigen Augenblick gerichtet ist. Achtsamkeit bedeutet präsent zu sein, sich selbst zu begegnen, aufzuwachen.

So wie der Atem nur im Jetzt geschieht, wir den vergangenen Atemzug nicht wiederholen können, noch den nächsten Atemzug vorziehen können, so können wir einzig in der Gegenwart leben. Wir können die Vergangenheit nicht verändern, noch können wir unsere Zukunft vorwegnehmen, auch wenn wir noch so gerne planen.

John Lennon hat einmal gesagt: „Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.“

Wir können unserem Leben zwei Richtungen geben. Entweder wir hadern, streben permanent nach Glück, Anerkennung, usw. beziehungsweise nach dem, was wir gerade nicht haben, ohne zu erkennen, was bzw. dass wir alles haben, oder wir nehmen es so an, wie es ist und lernen mithilfe der Achtsamkeitspraxis mit den Umständen, die wir nicht beeinflussen können, umzugehen und die schönen Dinge, die uns gegeben sind, zu erkennen und zu schätzen.

Das erste Wort im ersten Vers des ersten Kapitels des Patañjali Yoga Sūtra, dem Leitfaden des Yoga von Patañjali (siehe Buchempfehlungen), eine der wichtigsten philosophischen Schriften des Yoga, ist das Sanskrit-Wort atha.

Atha bedeutet wörtlich jetzt, nun, ist aber ebenso ein glücksverheißendes Wort. Wir können es als Glück empfinden, jetzt mit unserer Achtsamkeitspraxis zu beginnen, jetzt unser Leben bewusst zu gestalten.

Das englische Wort present bedeutet sowohl Geschenk, als auch Gegenwart. Im deutschen nutzen wir das Wort Präsent für Geschenk oder als Verb präsent (sein) für gegenwärtig (sein). So können wir den gegenwärtigen Moment als Geschenk betrachten.

Es gibt mittlerweile viele Studien zum Thema Yoga, Achtsamkeit und Meditation. Ein Vorreiter auf diesem Gebiet ist Prof. Jon Kabat Zin, ehemaliger Schüler des vietnamesischen Zen-Mönches Thich Nhat Hanh. Er gründete 1979 die Stress Reduction Clinic in Massachusetts und entwickelte hier die Methode der Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR, deutsch: Achtsamkeit basierende Stressreduktion), die Elemente des Haṭha Yoga, Vipassanā und Zen enthalten.

Zen ist eine japanische Strömung des Mahayana-Buddhismus, die wesentlich vom Daoismus beeinflusst wurde. Das Wort Zen leitet sich von dem Sanskrit-Wort dhyāna (Meditation; meditative Versenkung) ab.

Vipassanā bedeutet wörtlich Einsicht und findet im Theravada-Buddhismus seinen Ursprung, ist aber nicht religionsgebunden. Vipassanā-Meditation bedeutet folglich Einsichts-Meditation. Nach der Rede des Buddha von den Vergegenwärtigungen der Achtsamkeit (Satipaṭṭhāna Sutta (Sūtra)), werden in der Vipassanā-Meditation die  folgenden vier Grundlagen der Achtsamkeit  praktiziert:

1. Achtsamkeit auf den ganzen Körper

2. Achtsamkeit auf die Gefühle/Empfindungen (Bewertungen: positiv, negativ, neutral)

3. Achtsamkeit auf den Geist/Geistesinhalte und das Bewusstsein (wechselnde Zustände des Geistes: konzentriert,
abgelenkt, verwirrt, …)

4. Achtsamkeit auf die Geistesobjekte/mentale Objekte (Dinge, die im Augenblick wahrgenommen werden)

Durch kontinuierliches Üben der Achtsamkeitspraxis, kann es uns im Laufe der Zeit möglich sein, eine erhöhte Aufmerksamkeit in den Alltag zu integrieren. Das praktizieren der Achtsamkeit kann zu jeder Zeit in allen Situationen des Lebens erfolgen. Indem wir uns in unseren alltäglichen Situationen beobachten, uns ganz bewusst wahrnehmen in unserem Fühlen, Denken und Handeln, kommen wir uns selbst immer näher, erkennen, wie wir in verschiedenen Situationen agieren oder reagieren und können auf diese Weise eine positive Veränderung von Denkmustern und Verhaltensweisen herbeiführen. 

Ein Youtube-Video zum Thema Achtsamkeit der Neurowissenschaftlerin Britta Hölzel findest Du in meiner Mediathek.

Ich wünsche Dir viel Freude an der (Selbst-)Beobachtung.

Sei gut zu Dir!

Besinnlichkeit, Liebe, Mitgefühl, Nicht-Zeit

Ich möchte Dir ganz herzlich für die Zeit danken, in der wir in diesem Jahr gemeinsam geübt und praktiziert haben. Ich freue mich über Dein Interesse am Yoga und vor allem darüber, wenn Du den von Dir gewünschten Effekt erreichst.

Nichts ist wichtiger, als sich in unserem hektischen Alltag Zeit zu nehmen. Gemeinsame Zeit mit unseren Lieben, aber auch für uns selbst. Wir vergessen oft, warum wir überhaupt Weihnachten feiern. Wir feiern die Geburt Jesu, der in seinen späteren Jahren die Nächstenliebe gelebt und vermittelt hat. Selbst diejenigen unter uns, die nicht religiös sind, feiern Weihnachten. Im Grunde geht es doch darum, sich seinen Mitmenschen und sich selbst liebevoll zuzuwenden. In Sanskrit bezeichnen die Begriffe maitrī und karuṇā den Zustand von liebender Güte/liebevoller Zuwendung und Mitgefühl.

Ab dem 25.12. beginnen die Rauhnächte. Sie enden nach zwölf Nächten am 05.01. Seit der frühen Neuzeit symbolisieren sie die Phase, in der alle Naturgesetze außer Kraft gesetzt sind. Diese Zeit entstand aus der Umstellung vom Mond- auf den Sonnenkalender. Dieser weist elf Tage oder auch zwölf Nächte mehr auf. Also 365 Tage statt 354 Tage. Die fehlenden Tage wurden also an den Mondkalender angehängt. Die Rauhnächte sind eine Zeit die ist und zugleich nicht ist. Unsere Ahnen glaubten, in dieser Nicht-Zeit könne keine Tätigkeit fruchten. Sie zogen sich in ihre Häuser zurück und die Arbeit ruhte. Wir können sie heute als eine Art Schwebezustand betrachten, eine Zeit inne zu halten, uns neu auszurichten, in Erwartung darauf, was das neue Jahr uns bringen wird oder einfach nichts tun.

Egal ob wir einer Religion angehören, ob wir gläubig sind oder nicht, Christen, Muslime, Juden (die  am 03.12. Chanukka gefeiert haben) Buddhisten, Hindus oder Atheist, die Zeit um den Jahreswechsel herum ist immer irgendwie etwas Besonderes.

Vielleicht findest Du Dich irgendwo wieder und kannst die Zeit und Nicht-Zeit für Dich mit Besinnlichkeit, Liebe, Mitgefühl und Nichtstun füllen.

In der Mediathek habe ich ein Youtube-Musikvideo eingestellt. Es ist das Mantra „lokah samastah sukhino bhavantu“ in einer Version von Renee Sunbird. In Kurzform bedeutet es soviel wie „mögen alle Wesen in allen Welten glücklich sein“.

Ich wünsche Dir alles Liebe!

Sei gut zu Dir! 

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